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Titel
Mgr Léon-Arthur Elchinger. Un évêque français au Concile


Autor(en)
Xibaut, Bernard
Erschienen
Paris 2009: Éditions du CERF
Anzahl Seiten
481 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Michael Quisinsky

Der Strassburger Bischofskoadjutor (1958–1967) bzw. Bischof (1967–1984) Léon-Arthur Elchinger (1908–1998) gehörte zu den markantesten Persönlichkeiten der jüngeren Kirchengeschichte Frankreichs sowie den profiliertesten Konzilsvätern des II. Vaticanums. So ist es von grosser Bedeutung, dass seine Aktivitäten in Sachen Konzil und Konzilsrezeption nunmehr in einem profunden Werk von Bernard Xibaut, dem Kanzler des Strassburger Ordinariats und Vorsitzenden der Société d’histoire de l’Eglise de l’Alsace, gewürdigt werden. Der Autor konnte auf zwei umfangreiche archivarische Bestände zurückgreifen, die zunächst getrennt voneinander überliefert wurden, nunmehr aber gemeinsam ausgewertet werden konnten. Profilierte Persönlichkeiten wie Elchinger, der auf Erfahrungen als Seminardirektor und Referent für das kirchliche Schulwesen sowie Gründer des Instituts für Religionspädagogik zurückgreifen konnte, brachten Erkenntnisse des eigenen Denk- und Glaubensweges, aber auch der ihnen anvertrauten Ortskirche in das Gesamtgeschehen des Konzils und seiner Rezeption ein.

Ein erster Teil ist überschrieben mit «Ce qui a été dit» und widmet sich den 15 Interventionen, die Elchinger in der Konzilsaula gehalten hat. Diese stellen gleichsam die Spitze des Eisbergs seiner Konzilsbeteiligung dar. Seine Reden liessen, wie Xibaut in einem späteren Kapitel aufzeigt, so unterschiedliche Konzilsteilnehmer wie den Krakauer Erzbischof Karol Wojtyla und späteren Papst Johannes Paul II. (426–430) und den Tübinger Theologen Hans Küng (393–397) aufhorchen. Dies lag nicht nur am rhetorisch geschulten Vortrag, die Elchingers Reden aus der Vielzahl der im Petersdom – in allerlei nationalsprachlich gefärbten Varianten des Lateinischen – gehaltenen Interventionen heraushoben. Denn Elchinger widmete sich mit der Liturgie, der Ökumene, dem Verhältnis von Kirche und Kultur, der Eschatologie, dem Fall Galilei, der christlichen Erziehung und dem Verhältnis von Christen und Juden bedeutenden Themen und brachte hier perspektiveneröffnenden Positionen ein. Diese erwuchsen aus seinem lebhaften Interesse an den sichtbaren wie verborgenen gesellschaftlich-kulturellen Gärungsprozessen im französischen Katholizismus, aber auch aus der den Bischof ökumenisch sensibilisierenden konfessionellen Situation des Elsass. Ebenfalls zu nennen ist die Sensibilität Elchingers gegenüber dem jüdischen Glauben, dem er in seiner Diözese begegnete. Xibaut zeichnet nach, wie der durchaus eigenständige Denker Elchinger in vielfacher Weise wichtige Theologen (die Dominikaner Yves Congar, Henri-Marie Féret, Pierre-André Liégé, die Strassburger Professoren Antoine Chavasse, Maurice Nédoncelle, Charles Robert, den protestantischen Konzilsbeobachter Oscar Cullmann, die Jesuiten Karl Rahner, Gustave Martelet) und geistliche Impulsgeber (den Jesuiten Prosper Monier und den Arbeiterpriester André Depierre) konsultierte. Damit war er ein Brückenbauer zwischen dem kirchlichen Leben und Denken vor Ort und der Versammlung der Bischöfe in Rom. Xibaut arbeitet eine Theologie dieser Interventionen heraus – im Bewusstsein, dass diese genrebedingt nicht einfach eine systematische Entfaltung des theologischen Denkens Elchingers darstellen (112) – und benennt auch manche Grenzen der den Interventionen Elchingers zugrundeliegenden Theologie. Diese reichen von gewissen Widersprüchen zwischen verschiedenen ekklesiologischen Positionen (106) bis zu einer z.T. deutlichen Verhaftung in bereits vor dem Konzil hinfällig werdenden kirchlich-gesellschaftlichen Denkmustern (117). Mit dieser konkreten Sensibilisierung für das komplexe Wechselverhältnis von Kontinuität und Diskontinuität leistet Xibaut eine wichtige Verständnishilfe nicht nur für das Wirken einzelner Akteure während und nach dem Konzil, sondern auch generell für das Konzil als geschichtlichem und menschlichem Ereignis.

In einem zweiten Teil «Ce qui a été entendu» untersucht Xibaut wichtige Kommentare, Standardwerke und Tagebücher zum II. Vaticanum. Dies ist von einigem Interesse, zeigen sie doch, ob und inwiefern ein einzelner Konzilsvater Gehör fand, wobei sich freilich einem jeden Hörer die Vielzahl der Stimmen in einer anderen Weise darstellte. Hier ist auch darauf hinzuweisen, dass etwa in der überaus vertrauensvollen Zusammenarbeit Elchingers mit dem zur Zeit des Konzils im Strassburger Dominikanerkonvent lebenden Congar «das, was vernommen wurde», durchaus wechselseitig zu verstehen ist und dass es, wie dieser konkrete Fall der Zusammenarbeit zeigt, auf dem Konzil auch Bischöfe waren, die sich zum Sprecher bestimmter von den Theologen eingebrachten Anliegen machten (267). Demgegenüber stellt die Untersuchung von Bezügen auf einzelne Konzilsakteure in Konzilskommentaren eine gänzlich andere Art der Wahrnehmung von Konzilsteilnehmern dar, die jedoch das Verständnis des Konzils und seiner Rezeption in hohem Masse mitbestimmt. Anstelle einer vor dem derzeitigen Kenntnisstand der Konzilsforschung unmöglichen abschliessenden Bewertung bietet Xibaut eine ebenso umsichtige wie weiterführende Zusammenschau der Wahrnehmung Elchingers in den Konzilskommentaren, die sowohl dessen Verdienste würdigt als auch den nötigen Raum für vergleichende Studien auftut (245).

In einem dritten Teil «Ce qui a été retenu» unterzieht Xibaut zunächst die Veröffentlichungen Elchingers aus den 1960er bis 1990er Jahren einer Analyse, sodann die fünfbändige Konzilsgeschichte, die unter Federführung Giuseppe Alberigos erstellt wurde, bevor er die Aussagen einiger Zeitzeugen präsentiert, die mit Elchinger während des Konzils zusammenarbeiteten. In den beiden letztgenannten Abschnitten wird auch besonders die Rolle Elchingers als Koordinator zwischen den deutschen und französischen Bischöfen hervorgehoben (363ff., 414ff.), wobei bei diesen Aktivitäten Elchingers interessanterweise seine unmittelbaren Nachbarbischöfe aus Freiburg i.Br., Erzbischof Hermann Schäufele und Weihbischof Karl Gnädinger, keine Rolle spielten, wohl aber der Mainzer Bischof Hermann Volk und – wie aus dem deutschen Sprachraum nicht zuletzt auch die durch Peter Pfister und Guido Treffler besorgten überaus verdienstvollen Veröffentlichungen des Erzbischöflichen Archivs München zum II. Vaticanum zeigen – der Münchener Erzbischof und Konzilsmoderator Julius Kardinal Döpfner. Der dritte Teil endet mit einem aufschlussreichen Abschnitt über die «Wiederaneignung» des Konzils durch Bischof Elchinger. Xibaut zufolge war der an der Kultur so interessierte Elchinger stark von den kulturellen Umwälzungen im Gefolge von «1968» umgetrieben. Elchinger, der zu deutlicher Kritik an seiner Meinung nach zu weit gehenden Interpretationen im Gefolge des Konzils fähig war (441ff.), stellte aufgrund der unruhigen Verhältnisse, so Xibauts Beobachtung, in einer ersten Phase immer weniger das Konzil und seinen eigenen Anteil an diesem heraus (vgl. dazu auch 343ff.). Allerdings machte er sich beides nach einer zweiten Phase der Beruhigung ausdrücklich wieder zu Eigen, wobei eine abschliessend ausgewertete, im Jahre 1989 niedergeschriebene Bilanz Elchingers zeigt, wie umfassend für den nunmehr emeritierten Strassburger Bischof der Lernprozess für die Ortskirchen wie für die Universalkirche war und weiterhin ist, den das II. Vaticanum inaugurierte.

Zitierweise:
Michael Quisinsky: Rezension zu: Bernard Xibaut, Mgr Léon-Arthur Elchinger. Un évêque français au Concile. Préface par Mgr Joseph Doré (=L’histoire à vif), Paris, Les Editions du Cerf, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 526-528

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